„Hessen ist seit Jahren Vorreiter transparenter Haushalte. Die Geschäftsberichte weisen Jahr für Jahr nicht nur aktuelle Ausgaben und Belastungen aus, sondern sie zeigen offen und schonungslos, welche Folgekosten politische Entscheidungen von heute noch in Jahren und Jahrzehnten haben werden. Polizistinnen und Polizisten etwa, die wir heute aus gutem Grund einstellen, damit Hessen sicher bleibt, werden in Jahrzehnten ihre verdienten Pensionszahlungen des Landes bekommen. Haushalte, die die doppelte Buchführung, kurz Doppik, anwenden, zeigen diese Zukunftskosten auf. Unsere Erfahrungen damit und nun auch mit dem IPSAS-Abschluss bringen wir in die Debatte ein, denn transparente und nachhaltige Finanzen sind im Interesse aller“, sagte Boddenberg.
Während Hessen bei der modernen Haushaltsführung vorangeht, hinkt Deutschland hinterher. Das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) hat kürzlich analysiert, wie weit die Mitgliedstaaten bei der Einführung doppischer Standards sind. Die Eurostat-Prognose: 2025 wird Deutschland Schlusslicht der Entwicklung sein.
Die aus deutscher Sicht an dem EPSAS-Projekt dem Grunde nach geäußerte Kritik macht sich u.a. an einer möglichen Beeinträchtigung des parlamentarischen Budgetrechts bei einer verpflichtenden Einführung von EPSAS und einem fraglichen Kosten-Nutzen-Verhältnis fest. Auch die Ausrichtung des Jahresabschlusses an IPSAS, die das Vorsichtsprinzip mit einem tendenziell niedrigeren Vermögens- und Ergebnisausweis nicht als vorrangigen Rechnungslegungsgrundsatz verankert haben, ist in Deutschland bislang äußerst kritisch gesehen worden. Es besteht die Sorge, dass mit IPSAS eine zu positive und damit unrealistische Darstellung der Haushaltslage einhergehen könnte.
Staatsekretär Werner Glatzer, Bundesministerium der Finanzen: „Seit 10 Jahren läuft der europäische EPSAS-Prozess. Die Bundesregierung beteiligt sich daran weiterhin konstruktiv-kritisch und setzt sich für die deutschen Interessen sowohl des Bundes wie der Länder ein. Eine umfassende Reform der Rechnungslegung kann aber nur mit Unterstützung aller Beteiligten – auch des Deutschen Bundestages und Bundesrates – gelingen. Die Frage, ob EPSAS notwendig sind, um die Transparenz der Rechnungslegung und Vergleichbarkeit der öffentlichen Haushalte tatsächlich zu verbessern, bleibt weiterhin unbeantwortet.“
Zurückhaltend äußerte sich auch Thüringens Finanzministerin Heike Taubert: „Staaten und Kommunen haben völlig andere Aufgaben als wirtschaftliche Unternehmen, deshalb muss die Frage erlaubt sein, welchen zusätzlichen Nutzen das doppische Rechnungswesen für Bürgerinnen und Bürger und die parlamentarischen Gremien hat. Für Thüringen ist allenfalls eine Einführung auf freiwilliger Basis ein gangbarer Weg.“
Harald Riedel, Kämmerer der Stadt Nürnberg und Vorsitzender des Finanzausschusses des Deutschen Städtetages, hingegen betonte: „Die laufenden Modellprojekte zeigen, dass EPSAS die Chance für ein vereinheitlichtes Rechnungswesen der öffentlichen Verwaltungen gerade auch innerhalb Deutschlands bietet. Wichtig dafür wäre, dass wir unsere Sichtweisen im Hinblick auf normierte Bewertungs- und Ermessensspielräume zeitnah einbringen.“
„Transparente Finanzberichterstattung ist kein Selbstzweck. Politisch Entscheidende wie Bürgerinnen und Bürger benötigen einen klaren Blick auf die Staatsfinanzen und die Verwendung des Geldes der Steuerzahlenden. Daran sollten wir bei uns daheim, aber ganz sicher auch in Europa ein Interesse haben. Deutschland profitiert von der EU, bringt sich aber auch solidarisch mit viel Geld in die Gemeinschaft ein. Transparentes Haushalten zu vergleichbaren Maßstäben in ganz Europa sollte uns daher ein wichtiges Anliegen sein. Deutschland sollte hierbei vorangehen, mitgestalten – und nicht auf der Bremse stehen“, sagte Hessens Finanzminister Michael Boddenberg.
„Das kaufmännische Vorsichtsprinzip besitzt in Deutschland für die Bilanzierung der öffentlichen Hand zurecht einen hohen Stellenwert. Es lässt sich aber auch im Rahmen eines IPSAS-Abschlusses umsetzen – dies können wir am Beispiel des Landes Hessen nunmehr eindrucksvoll belegen“, erläuterte Boddenberg. Das heterogene Bild, das die öffentliche Rechnungslegung in Deutschland auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen bietet, ist Anlass für Finanzminister Boddenberg, eine Standardisierung der doppischen Rechnungslegung in Deutschland sowie eine belastbare Vermögensrechnung von allen Gebietskörperschaften zu fordern: „Ein aussagekräftiger Ausweis des Vermögens und der Schulden eines Landes setzt ein doppisches Rechnungswesen voraus. Diese Transparenz sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in Europa schuldig.“, so Boddenberg.
John Verrinder, EPSAS-Projektleiter bei Eurostat, verwies gerade auch im Kontext der aktuellen Corona-Krise auf die Bedeutung einer zeitgemäßen Haushaltsführung: „Moderne, hochwertige Systeme der periodengerechten Rechnungsführung sind wichtig für ein gutes Finanzmanagement im öffentlichen Sektor, insbesondere nach der COVID-19-Pandemie.“